Donnerstag, 26. Januar 2012

Die alte Eiche


                                       Die alte Eiche

„Tschüss Sarina! Wir sehen uns Morgen, ja?“, ich nickte ihr lächelnd zu und winkte zum Abschied noch einmal. Als sie die Tür schloss zog ich genüsslich die kühle Herbstluft ein. Sie roch so wunderbar nach gerade gefallenen Blättern und Regen. Die untergehende Sonne färbte den gesamten Himmel in wunderschöne Rottöne. Mich umgab eine beruhigende Stille. Man konnte nur ab zu den Wind hören, wie er verspielt durch die Bäume strich und die verbliebenen Blätter tanzen ließ. Als er mir in die Haare blies, sodass sie mir um den Kopf wirbelten, musste ich lachen. Ich summte leise vor mich hin als ich auf den Sportplatz zusteuerte, der zu dieser Jahreszeit  meist leer war. Ich liebte es dann, wenn sonst niemand hier war, auf die riesige Eiche zu klettern, die am Rande des Platzes auf einem leicht in ein Gestrüpp abfallenden Hang wuchs. Es war wundervoll zuzugucken, wie sich die Bäume im Wind bewegten oder unter einen schweren Schneelast ächzten und bebten, als wären sie lebendig.
In den Büschen neben meiner Eiche versuchten immer wieder andere Kinder ein geheimes Lager herzurichten. Aber sie waren nie lange geblieben. Inzwischen gab es dadurch so viele Schneisen und Löcher in den Büschen, dass man problemlos zu dem Wäldchen dahinter gelangte. Für mich nur ein Vorteil- es war mir immer wieder eine willkommene Abkürzung, auch wenn ich das dichte Gestrüpp ein wenig vermisste, durch das ich mir immer nur mühsam einen Weg hatte bahnen können und nie ohne Kratzer auf der anderen Seite herausgekommen war.
Heute blieb ich nur kurz bei meiner großen Eiche stehen, bevor ich meinen Weg nach Hause fortsetzte. Liebevoll strich ich ihr über die raue Rinde, als wäre sie ein geliebter Freund. „Ich muss heute gleich weiter. Tut mir leid! Dafür bleib ich morgen länger!“, flüsterte ich, vorauf ihre Blätter traurig raschelten. Ich wandte mich ab und ging den Hang hinunter ins Gestrüpp. Gedankenversunken blickte ich hoch zum Blätterdach über mir, durch das ab und zu bereits ein Stern blitze. Plötzlich knackte kurz vor mir ein Zweig. Irritiert blieb ich stehen und sah mich um. Ein Schatten trat vor mir aus dem Buschwerk. „Hallo Sarina.“, sagte eine dunkle raue Stimme. Ich kannte diese Stimme gut und meine hochgezogenen Schultern entspannten sich wieder. „Herr Sast. Man! Sie haben mich vielleicht erschreckt!“ Ich schüttelte den Kopf. Herr Sast war unser Nachbar und er lud uns ab und zu zum Kuchenessen bei sich ein. „Hab ich das?“, fragte er und seine Stimme schien noch tiefer zu werden. Trotz der Dunkelheit konnte ich seine weit vom Kopf abstehenden Segelohren sehen, die ihn immer wie ein Kobold aussehen ließen. „ Du solltest so spät nicht mehr allein herum streunen. Außerdem wird es jetzt immer kälter.“ Herr Sast machte einen Schritt auf mich zu und stand nun direkt vor mir- er war fast anderthalb Köpfe größer als ich. Verwirrt schaute ich ihn an. Er wusste doch, dass ich häufig noch lange hier draußen blieb. Er hatte mich sogar schon mal hierher begleitet. Auf einmal spürte ich seine Hand auf meinem Arm. Verunsichert antwortete ich: „Ich bin gerne draußen. Und ich bin warm angezogen.“ „Ja, stimmt. Das sehe ich.“, antwortete er und seine Stimme wurde zu einem Raunen. Seine Hand war zu meinem Gesicht hochgefahren und strich mir nun über die Wange. Nervös machte ich ein Schritt zurück. Der Boden unter meinen Füßen fühlte sich so rutschig an. Hatte der Mond vorhin auch schon geschienen? „Ich muss nach Hause.“, murmelte ich. Mein Herz pochte so schnell, dass mir schwindelig wurde. „Nein, ich denke nicht!“, erwiderte er lächelnd und streckte die andere Hand nach meiner Taille aus. „Hören Sie! Ich muss jetzt wirklich gehen!!“, meine Stimme war ganz leise vor Angst geworden und ich versuchte seine Hände abzustreifen, aber er hatte mich bereits fest an der Hüfte gefasst. Es entwich aus mir der letzte Rest Hoffnung eines Missverständnisses, als ich in seine Augen blickte. Gierig wie ein Wolf der seine Beute betrachtete musterte er mich. Tränen der Verzweiflung stiegen mir in die Augen. Ein Windstoß ließ die Blätter bedrohlich rascheln und fuhr mir kalt ins Gesicht. Meine Beine waren plötzlich weich wie Butter und drohten unter meinem Gewicht einzuknicken. Ich stolperte nach hinten, während ich versuchte mich zu befreien, aber stattdessen rückte er nun noch näher und drückte mich an sich. „Lassen Sie los!“, wollte ich schreien, aber es kam kaum mehr als ein leises panisches Flüstern hervor.
Er lachte.
Mein Fuß blieb an einer sich aus dem Boden räkelnden Wurzel hängen. Ich fiel hin und er, fest an mich geklammert, landete auf mir. Nun begann ich wirklich zu weinen. Die Tränenliefen erst vorsichtig über meine Wange und suchten sich einen Weg über meine trockene Haut, aber schon bald rann mir ein ganzer Bach aus den Augen. Meine Umgebung begann zu verschwimmen, sodass ich nur noch die Umrisse sah. Ich verstand einfach nicht warum er das tat. Er war doch immer so freundlich gewesen. Als er mit einer Hand unter meinen Polluver fuhr versuchte ich ihn wegzuschubsen, aber er war so groß, er war so schwer. Obwohl ich mich nun heftig wehrte, schien er unbeeindruckt, stattdessen wanderte seine Hand nun ganz langsam, als würde er über Seide streichen nach unten.
Ich schrie. Diesmal versagten meine Stimmbänder nicht.
Als hätte er erst jetzt bemerkt, dass ich unter ihm lag, sah er mich an. Einen Moment lang schien er verwirrt. Dann verschleirte sich sein Blick wieder und seine Hand presste sich auf meinen Mund. Ich kämpfte dagegen an, sodass er schließlich mir mit beiden Händen den Mund zupresste. Sein breiter Oberkörper beugte sich zu mir herunter. „ Es ist doch alles gut.“, flüsterte er mir ins Ohr. Meine gedämpften Angstschreie wurden plötzlich panisch. Ich versuchte einzuatmen, aber seine großen Hände- ich schlug wild um mich, während sich alles um mich zu drehen begann. Meine Bewegungen wurden träger und auch meine Schreie leiser.
Ich sah durch die Blätter hoch zum Mond. Er schaute teilnahmslos zurück.

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