Kurzgeschichten

Im Rampenlicht

Um mich herum wird es still. Das grelle Licht, das auf mich gerichtet ist, blendet mich, doch ich kämpfe gegen das Verlangen an, mir eine Hand über die Augen zu halten. Ich spüre, wie sich die Augen erwartungsvoll auf mich richten und ihre Blicke mich umklammern, mich nicht mehr loslassen. Mein Schlucken kommt mir zu laut vor. Jeder Laut, jedes Geräusch scheint in dieser wartenden Stille zu wachsen und sich zu einer klebrigen, wabernden Substanz auszudehnen, die mich zu erdrücken droht. Ich versuche durchzuatmen. Irgendwie Sauerstoff in meine Lungen zu bekommen, aber die Luft um mich herum scheint verdünnt. Meine Hände tragen schwer an der, plötzlich zentnerschweren, Last der Trompete, sie krallen sich an ihr fest, aus Angst sie sonst fallen zu lassen. Vor diesen Leuten.
Ich schlucke erneut und versuche meine Trompete, so wie immer, an meine Lippen zu setzen. Ich versuche mir vor Augen zu führen, wie oft ich schon auf einer solchen Bühne gestanden hab. So viele, viele Male. Das hier ist für mich Routine! Die Blicke holen mich ein und bevor ich mich aus ihren Krallen entwinden kann, haben sie mich bereits wieder. Ich bin allein. Diesmal habe ich keine schützende Band um mich herum.
Den ersten Ton hauche ich nur in die Trompete, aus Angst, meine Lippen könnten es verlernt haben, wie man spielt. Aber sie erinnern sich. Der Klang meiner Trompete durchdringt den Saal und erfüllt ihn mit Leben. Ich lasse die Melodie an den Sitzen nippen und durch die Ritzen kriechen. Ich versuche selbst den dunkelsten Winkel mit ihr zu erhellen. Der Klang steigt auf, der großen Decke entgegen und schwillt an. Ich hab dieses Stück tausendmal für mich gespielt, hab es geübt, bis ich es auswendig kannte. Jetzt darf ich beweisen, dass ich es kann. Ich spiele, spiele meine Seele heraus, aber die Blicke lähmen mich noch immer und lassen meinen Unterkiefer unkontrolliert zittern. die Noten fliegen durch meinen Kopf, wirbeln dort herum und bilden neue Formationen. Wie geht es weiter? Verzweifelt versuche ich die Noten wieder zu ordnen, aber es dauert zu lange.
Wie ein Schrei tönt der falsche Ton durch den Raum und lässt ihn zusammenzucken. Sofort scheint es wieder etwas dunkler zu werden, in den Ecken und Winkeln. Mein Herz rast, panisch gleitet mein Blick über die Reihen. Ich versuche mich zu erinnern, wie es weitergeht, aber mein Kopf scheint leergefegt. Als auch der letzte, so verhängnisvolle Ton, verklingt, wird es still.
Mich blendet das Licht, alles Routine, nur diesmal alleine!


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Vom Fliegen

Sie streiten immer.
Irgendwann waren sie in ein eigenes Haus fernab jeglicher Zivilisation gezogen. Hier konnten sich die Nachbarn wenigstens nicht mehr beschweren, dass es ihnen zu laut werde. Im Umkreis von einem Kilometer nichts als Wiese und Acker. Und Tiere natürlich. Denen ist der Streit unter Menschen egal.
Das Mädchen drehte ihre Lieblingstasse, die mit ihrem Sternzeichen versehen war, vorsichtig so, dass sie ganz vorn im Schrank gut sichtbar blieb. Dies hier war ihr Terrain.
Heute hatten sie ihren Streit in die Küche verlegt.
Leise schlich sich die Kleine die Treppe hoch auf den Dachboden. Oben angekommen fiel ein Sonnenstrahl auf sie. Sie öffnete die Dachbodenluke. Ein Schwall Frühlingsluft strahlte ihr entgegen und hüllte sie ein.
Eine Amsel flog zwitschernd vorber. Ein Rabe folgte, doch er flog nicht weg, sondern setzte sich vor das Mädchen auf die Regenrinne des Daches. "Du hast es gut", flüsterte die Kleine dem Raben zu. "Du kannst fliegen - wann und wohin du willst!" Mit seinen schwarzen Knopfaugen musterte er sie. Dann drehte er ruckartig den Kopf zur Seite und stelzte ein paar Schritte auf der Rinne entlang. Mit einem Krächzen öffnete er die Flgel und schüttelte sich. Lächelnd verfolgte sie das Schauspiel. Wollte der Vogel ihr etwas sagen? Jetzt stand er wieder still und schaute sie erneut mit wachsamen Augen an. So ging es eine Weile, sie beobachteten sich gegenseitig. Plötzlich war von unten außer dem üblichen Streit das Splittern einer Tasse zu hören. Das Mädchen seufzte und der Rabe legte den Kopf schief. Sehnsüchtig blickte es aus dem Fenster hinaus über das Feld: Fliegen-Ausfliegen-Rausfliegen-Wegfliegen!
Der Rabe krächzte, drehte sich um und stieß sich von der Dachkante ab. Der Wind fuhr ihm unter die Flügel und trug ihn. Trug ihn fort.
Die Kleine begann sich auf das Dach hinaufzuziehen. Sie schaute in den weiten Himmel und, von einem seltsamen Gefühl beflügelt, stand sie schließlich auf und - lachte. In dem Moment fühlte ich sich leicht, sie meinte alles zu können. Hoch über ihr drehte ihr kleiner Freund ab und flog auf die Sonne zu, die wie ein rotglühender Ball hinter den Wiesen zu versinken begann. 'Ja!', dachte sie noch, 'warte, ich komme.' Dann breitete sie ihre Arme aus, um sich vom Wind tragen zu lassen.
Streit unter Menschen ist den Tieren egal.

 

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