Die alte Eiche
„Tschüss Sarina! Wir sehen uns Morgen, ja?“, ich nickte ihr lächelnd zu und winkte zum Abschied noch einmal. Als sie die Tür schloss zog ich genüsslich die kühle Herbstluft ein. Sie roch so wunderbar nach gerade gefallenen Blättern und Regen. Die untergehende Sonne färbte den gesamten Himmel in wunderschöne Rottöne. Mich umgab eine beruhigende Stille. Man konnte nur ab zu den Wind hören, wie er verspielt durch die Bäume strich und die verbliebenen Blätter tanzen ließ. Als er mir in die Haare blies, sodass sie mir um den Kopf wirbelten, musste ich lachen. Ich summte leise vor mich hin als ich auf den Sportplatz zusteuerte, der zu dieser Jahreszeit meist leer war. Ich liebte es dann, wenn sonst niemand hier war, auf die riesige Eiche zu klettern, die am Rande des Platzes auf einem leicht in ein Gestrüpp abfallenden Hang wuchs. Es war wundervoll zuzugucken, wie sich die Bäume im Wind bewegten oder unter einen schweren Schneelast ächzten und bebten, als wären sie lebendig.
In den Büschen neben meiner Eiche versuchten immer wieder andere Kinder ein geheimes Lager herzurichten. Aber sie waren nie lange geblieben. Inzwischen gab es dadurch so viele Schneisen und Löcher in den Büschen, dass man problemlos zu dem Wäldchen dahinter gelangte. Für mich nur ein Vorteil- es war mir immer wieder eine willkommene Abkürzung, auch wenn ich das dichte Gestrüpp ein wenig vermisste, durch das ich mir immer nur mühsam einen Weg hatte bahnen können und nie ohne Kratzer auf der anderen Seite herausgekommen war.

Er lachte.
Mein Fuß blieb an einer sich aus dem Boden räkelnden Wurzel hängen. Ich fiel hin und er, fest an mich geklammert, landete auf mir. Nun begann ich wirklich zu weinen. Die Tränenliefen erst vorsichtig über meine Wange und suchten sich einen Weg über meine trockene Haut, aber schon bald rann mir ein ganzer Bach aus den Augen. Meine Umgebung begann zu verschwimmen, sodass ich nur noch die Umrisse sah. Ich verstand einfach nicht warum er das tat. Er war doch immer so freundlich gewesen. Als er mit einer Hand unter meinen Polluver fuhr versuchte ich ihn wegzuschubsen, aber er war so groß, er war so schwer. Obwohl ich mich nun heftig wehrte, schien er unbeeindruckt, stattdessen wanderte seine Hand nun ganz langsam, als würde er über Seide streichen nach unten.
Ich schrie. Diesmal versagten meine Stimmbänder nicht.
Als hätte er erst jetzt bemerkt, dass ich unter ihm lag, sah er mich an. Einen Moment lang schien er verwirrt. Dann verschleirte sich sein Blick wieder und seine Hand presste sich auf meinen Mund. Ich kämpfte dagegen an, sodass er schließlich mir mit beiden Händen den Mund zupresste. Sein breiter Oberkörper beugte sich zu mir herunter. „ Es ist doch alles gut.“, flüsterte er mir ins Ohr. Meine gedämpften Angstschreie wurden plötzlich panisch. Ich versuchte einzuatmen, aber seine großen Hände- ich schlug wild um mich, während sich alles um mich zu drehen begann. Meine Bewegungen wurden träger und auch meine Schreie leiser.
Ich sah durch die Blätter hoch zum Mond. Er schaute teilnahmslos zurück.